Franziska Drohsel

ist seit November 2007 Bundesvorsitzende der Jusos. Sie hat Jura studiert und promoviert derzeit
an der Humboldt-Universität zu Berlin.


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Stellungnahme zum Sanktionsmoratorium

Nach Jahren des radikalen Systemumbaus hin zu einem Staat, der seine Bürger nach Marktkriterien sortiert, wird die Sackgasse sichtbar, in die dieser Weg führt. Ein Kernstück dieser Ideologie ist der Gedanke, dass man die Krise am Arbeitsmarkt zumindest abdämpfen kann, wenn man auf die Erwerbslosen Druck ausübt. „Fordern und Fördern“ heißt die Devise. Das Grundprinzip, nachdem die Massenarbeitslosigkeit personifiziert und zu einem individuellen Versagen umdefiniert wird, setzt darauf, das Individuum zu aktivieren, sich fit für den Markt zu machen.

Anders als gedacht und gewollt führt das Prinzip des „Fordern und Fördern“ nicht zu hoch qualifizierten, hoch flexibilisierten und hoch motivierten Humankapital, sondern zu gebrochenen Menschen, denen das gesellschaftliche Problem der Arbeitslosigkeit als individuelles Versagen in der Leistungsgesellschaft in die Köpfe gehämmert wird.

Der Verlust des Arbeitsplatzes hat neben der materiellen Komponente bereits den Beigeschmack des individuellen Versagens. Das über die eigene Fähigkeiten definierte Selbstwertgefühl, oft in Jahrzehnten der Erwerbsarbeit angesammelt, wird systematisch zerstört. Schließlich ist nicht der Verlust des Arbeitsplatzes das Problem, sondern der Mensch. Die erworbene berufliche Qualifikation ist unbrauchbar (Umschulung), die soziale Kompetenz mangelhaft (psychologische Beratung) und die Selbstdarstellung katastrophal (Bewerbungstrainings). Hinzu kommen die vielfältigen Sanktionen und Druckmittel der Arbeitsagenturen und der damit verbundene finanzielle Absturz, der zu einer weiteren Exklusion führt. All dies zeigt deutlich, dass der Versuch, gesellschaftliche Probleme zu individualisieren und zum persönlichen Defizit umzudefinieren, gescheitert ist.

Es ist richtig, Menschen nicht allein zu lassen, durch Qualifizierungsangebote und sonstige Unterstützung auch neue Perspektiven jenseits des alten Erwerbsverhältnisses zu schaffen. Es ist falsch und gefährlich, den Staat nur noch als Fitnessstudio für den Arbeitsmarkt zu begreifen und Arbeitslosigkeit zum individuellen Problem zu verklären.

Die Instrumente des Förderns korrespondieren mit der Idee des Forderns. Es wird suggeriert, dass ein Großteil der arbeitslosen Menschen nicht arbeiten wolle und deshalb über Sanktionen dazu gezwungen werden müsse. Was hier letztlich geschieht, i t die Aufkündigung humanistischer Grundprinzipien, die ihren Ausdruck u.a. in der Menschenwürdegarantie in Art. 1 Abs. 1 GG gefunden hat.

Jeder Mensch hat in diesem Land eine Existenzberechtigung, unabhängig von seiner nach welchen Kriterien auch immer definierten Nützlichkeit. Dieses Recht, was z.B. auch in einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein „soziokulturelles Existenzminimum“ mündet, ist in keinerlei Weise an die Erwerbsfähigkeit oder –bereitschaft gekoppelt, sondern einzig an die Kategorie „Mensch“.
Die Existenzberechtigung eines jeden Menschen findet ihren Niederschlag u.a. in dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein Existenzminimum.

Das Existenzminimum liegt derzeit beim ALG II–Regelsatz. Es widerspricht jedweder Logik, auf der einen Seite zu behaupten, man bräuchte den Regelsatz um die elementarsten Dinge wie Essen, Trinken, Körperhygiene etc. bewerkstelligen zu können, und Menschen die 100 %ge Kürzung dieses Minimums anzudrohen. Marktprinzipien wie Nützlichkeit und Verwertbarkeit auf Menschen anzuwenden, hat gravierende gesellschaftliche Konsequenzen. So wächst die Abwertung gegenüber Langzeitarbeitslosen dramatisch. Sanktionen sind kein akzeptables Mittel. Sie verschlimmern lediglich die Situation für die Betroffenen. Arbeitslosigkeit hat vielfältige Ursachen und kann nicht durch Druck und Repression beseitigt werden. Die Sanktionen gegen Arbeitslose gehören abgeschafft.

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